Warum das reflexhafte Duzen heute mehr Problem als Lösung ist!
Wir leben in einer Zeit, in der das förmliche „Sie“ kaum noch eine Chance hat. Ob im Büro, in Mails, auf Social Media oder sogar in Behörden: Das „Du“ wird fast überall vorausgesetzt. Schnell, unkompliziert, direkt – so will man heute kommunizieren. Nur: Ist das wirklich so harmlos?
Wer zögert, gilt schnell als antiquiert oder unnahbar. Ein höflich gemeintes „Ist das Du für Sie in Ordnung?“ löst oft mehr Irritation aus als Zustimmung. Dabei wäre es doch eigentlich umgekehrt: Nähe ist schön, aber sollte sie nicht freiwillig entstehen?
Was einst als Zeichen von Vertrauen und Gleichwertigkeit galt, verkommt zur bloßen Floskel. Das inflationäre Du wirkt aufgesetzt – als wolle man Nähe vorgaukeln, wo eigentlich keine ist. Und am Ende bleibt genau das zurück: ein leeres Ritual ohne Inhalt.
Denn eines ist klar: Nur weil jemand duzt, entsteht weder Respekt noch Verbundenheit. Sprache formt Beziehungen – und das gedankenlose Duzen wirkt oft eher übergriffig als verbindlich.
Duzen als Tarnung – wenn Lockerheit Kontrolle kaschiert
Warum sich dieser Trend so hartnäckig hält? Weil das Du vermeintlich unkompliziert wirkt. Es bricht Hierarchien auf – zumindest nach außen. Tatsächlich aber kaschiert es oft nur starre Strukturen: Man gibt sich kumpelhaft, entscheidet aber weiterhin autoritär. Und die Verantwortung? Die bleibt diffus.
Was verloren geht: Unterschied, Respekt, Klarheit
Das förmliche „Sie“ hatte seine Berechtigung: Es markierte eine höfliche Distanz, eine erste Grenze – nicht unfreundlich, sondern respektvoll. Und das „Du“? War etwas Besonderes. Ein Angebot, kein Automatismus.
Heute hingegen ist alles per Du – und damit auch irgendwie beliebig. Sprache ist mehr als ein Instrument, sie ist Beziehung. Und wenn alle Schranken sofort fallen, geht auch Orientierung verloren.
Vertrauen entsteht nicht durch ein Wort
Wer glaubt, das „Du“ allein schaffe Offenheit oder Teamgeist, übersieht Wesentliches: Echte Nähe entsteht nicht durch sprachliche Verbrüderung, sondern durch Haltung, Klarheit und Verlässlichkeit. Und manchmal braucht es gerade dafür – ja, wirklich – den sicheren Rahmen des „Sie“.
Zeit für ein Umdenken
Vielleicht ist es an der Zeit, das „Du“ wieder zu dem zu machen, was es ursprünglich war: Eine bewusste Entscheidung. Und dem „Sie“ jenen Raum zurückzugeben, in dem Begegnung mit Achtung beginnt – bevor man Nähe zulässt.
Wer das altmodisch findet: Kein Problem. Du darfst mich trotzdem siezen.
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